Als ich nach Deutschland kam...Pervin Kayabasi
Gastarbeiter aus der Türkei und Italien erzählen, wie sie in den 60-iger Jahren nach Deutschland kamen und eine Deutsche Seniorin berichtet, wie sie die Zuwanderung erlebt hat. In der siebten Folge dieser Artikelserie berichtet Pervin Kayabasi über ihre Erlebnisse:
Pervin Kayabasi
Geboren am: 2.3.1944
Geburtsort: Türkei
In Deutschland seit 1969
Grund der Einwanderung: Arbeitsvertrag
Beruflicher Werdegang: Hilfsarbeiterin, Krankenpflegerin (Hebamme - Holweide)
Urlaubsort: Ankara – Türkei
Pervin Kayabasi kam im Alter von 25 Jahren allein nach Deutschland. Wie viele türkische Frauen wurde sie von ihrem Mann vorgeschickt, damit er später nachkommen konnte.
Pervin Kayabasi wirkt etwas zurückgezogen, auch wenn sie sehr mutig und offen über ihre Erlebnisse erzählt. Ihre tiefstehenden Augen, ihre Brille und der Pony lassen wenig Zugang zu ihrem Inneren. Pervin erzählt und es wird klar, dass sie sehr viel Schmerz erlitten hat. Trotzdem ist sie ihren Weg gegangen und hat sich durchgebissen.
Guten Tag, ich heiße Pervin Kayabasi. Ich bin 1969 nach Deutschland gekommen. Ich habe in der Türkei als Hebamme gearbeitet. Mit einemArbeitsvertrag als Hilfsarbeiterin habe ich bei BBC in Eberbach (in der Nähe von Heidelberg) begonnen, in Deutschland zu arbeiten.
Während des ersten Jahres hat Pervin in einem Wohnheim gewohnt. Die Unterbringung war nicht mehr als eine Baracke. Als junge Frau war sie damals komplett allein.
In der Türkei hatte sie eine gute Stelle als Hebamme gehabt. Diese musste sie aufgeben. Was noch schlimmer war, Pervin musste ihren Sohn bei ihren Eltern zurücklassen.
Es stellt sich die Frage, was ist das für ein Mann, der seine Frau allein in ein fremdes Land schickt und sie von ihrem Kind trennt?
Schließlich kam er noch nicht einmal nach. Denn er ging etwas später in die Osttürkei und lebte dort. Die gesamte Familie wurde durch diese Aktion getrennt. Pervin in Deutschland, ihr Mann in der Osttürkei und ihr Sohn bei Pervins Eltern im Westen der Türkei.
Dabei begann die Tragödie bereits vor Pervins Abreise. Sie musste die üblichen Formalitäten und Untersuchungen über sich ergehen lassen. Das Anwerbeabkommen regelte, dass sich türkische
Arbeitswillige beim Arbeitsamt in ihrem Land bewarben. Nach Prüfung der Unterlagen bekamen sie, im glücklichen Fall, eine Zusage einer Firma aus Deutschland.
So geschah es auch Pervin. Sie hatte einen Arbeitsvertrag in der Tasche. Doch damit war sie noch lange nicht in Deutschland.
Empört berichtet sie von der Gesundheitsuntersuchung, die alle Ausreisewilligen über sich ergehen lassen mussten.
Wir mussten uns nackt ausziehen und uns in einer Reihe aufstellen. Männer und Frauen. Das war sehr erniedrigend. Dann wurden wir untersucht.
Dieser Gesundheitscheck war ein rauer Akt und wurde respektlos durchgeführt. Die Menschen wurden nach Arbeitstauglichkeit überprüft. Wer die Kriterien erfüllte, konnte nach Deutschland reisen, die anderen wurden nach Hause geschickt. In der Türkei ist es nicht üblich, sich frei nackt zu zeigen. Für die Menschen war dies eine große Respektlosigkeit.
Es ist sehr mutig, dass Pervin dies berichtet. Nur wenige möchten darüber sprechen.
Als Pervin Kayabasi endlich die Zulassung zur Ausreise bekam, stieg sie in den Zug nach Deutschland. Wie die meisten Gastarbeiter und -arbeiterinnen kam auch Pervin in München an.
Die Zugfahrt dauerte drei Tage und zwei Nächte. Jeder bekam zwei Tüten, mit Essen für zwei Tage darin. Die Stimmung war unterschiedlich. Manche waren froh, andere waren traurig wegen der zurückgelassenen Familie. Ich selbst war sehr traurig.
In den Tüten mit Essen, an die sich viele Teilnehmer erinnerten, waren Brot, Äpfel, Birnen und Bananen. Hier haben viele Menschen zum ersten Mal eine Banane gesehen. Auch berichten sie, dass – gerade im Winter – keine Heizungen in den Abteilen waren und es somit sehr kalt war.
Pervins Arbeitsvertrag war auf ein Jahr befristet. Nach Beendigung kam sie nach Köln. Hier lebte die Schwester ihres Mannes. Pervins Situation war zu dieser Zeit sehr schwierig. Sie hatte kein Geld, keine eigene Wohnung und keine Arbeit.
Eines Tages, als meine Schwägerin im Urlaub war, kam der Vermieter. Ich machte ihm die Tür auf und sagte, dass ich hier wohne. Er sah, dass es nur ein Bett gab. Ich hatte kein Geld, mir ein Bett zu kaufen. Ich konnte meine Schwägerin auch nicht anrufen. Also schmiss mich der Mann aus der Wohnung.
Das war sehr schlimm. Was sollte sie tun? Schließlich bekam die verzweifelte Frau Hilfe. Eine Frau hat ihr etwas Geld gegeben und einen Dolmetscher besorgt. Irgendwie musste es ja weitergehen.
Pervin Kayabasi wollte gern ihren Beruf auch in Deutschland ausüben. Also ließ sie ihr Diplom und ihre Zeugnisse vom Türkischen ins Deutsche übersetzen.
Zu dieser Zeit wurde das Krankenhaus in Holweide gebaut. Pervin hat sich beworben und ist angenommen worden. Endlich konnte sie Fuß fassen.
Bis das Krankenhaus fertig gebaut war, arbeitete ich noch ein halbes Jahr im Kinderkrankenhaus in derAmsterdamer Straße .Danach war ich 33 Jahre auf der Wöchnerinnenstation, im Krankenhaus Holweide als Kinderpflegerin angestellt.
Mit einem Lächeln öffnet sich ihr Gesicht. Stolz zeigt uns Pervin Kayabasi Bilder ihres Dienstjubiläums. Trotz des schweren Starts hat sie schließlich eine Arbeit gefunden, die sie erfüllte.
Pervin hat sich durchgebissen. Die fremde Sprache erlernte sie durch ihre Arbeit. Zunächst in Eberbach, wo sie sich die deutschen Wörter auf die Hand schrieb, um sie dann von türkischen Kolleginnen übersetzen zu lassen.
Auch persönlich ist Pervin ihren Weg gegangen. Sie hat in Deutschland einen zweiten Mann kennen gelernt. Mit ihm hat sie zwei Töchter bekommen. Beide haben eine gute Ausbildung gemacht und vor kurzem hat Pervins jüngste Tochter geheiratet. Von ihrem ersten Sohn, hat Pervin drei Enkelkinder bekommen.
Nun ist sie Rentnerin und glücklich. Jedes Jahr fährt sie ein bis zwei Monate in die Türkei. Nach Ankara. Die restliche Zeit verbringt sie in Deutschland.
Pervin Kayabasis Geschichte ist zum Einen sehr tragisch und gibt doch Hoffnung. So hart wie der Anfang war, wird im Verlauf klar, dass es immer irgendwie weiter geht. Dass es sich lohnt, die Hoffnung
nicht aufzugeben. Denn irgendwann wird das Glück, was verloren schien, wiederkommen.
Weitere Geschichten finden Sie hier: Erzählwerkstatt "Als ich nach Deutschland kam..."
Die Geschichten der Erzählwerkstatt "Als ich nach Deutschland kam..." sind außerdem in einer Broschüre erschienen. Herausgeberin ist Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband Köln e.V., Frau Ulli Volland-Dörmann, Rubensstr. 7-13, 50676 Köln Layout: GNN-Verlag Köln
Die Broschüre finden Sie in zahlreichen Begegnungsorten in Mülheim ausgelegt. Oder Sie können sie direkt im IFS - Interkulturelles Forum für Senioren, in der Dünnwalder Str. 5, 51063 Köln-Mülheim bekommen.
Öffnungszeiten: Dienstag - Donnerstag: 14.00 - 16.00 Uhr