Interview mit Ayse Köglüöglu
Willkommen bei Mama Ayse!
Möchten Sie den leckerste Toast von Mülheim essen? Dann kommen sie in das Büdchen von Mama Ayse, (Adamstraße Ecke Keupstraße) wie sie liebevoll genannt wird. Setzen sie sich, trinken Sie eine Kaffee und erzählen Sie oder hören Sie den vielen Geschichten einer lebenserfahrenen und herzensguten Frau zu. Der Kiosk von Ayse Köklüog`lu ist mittlerweile aus diesem Veedel nicht mehr wegzudenken und spiegelt das Leben wieder, wie es ist.
„Ich könnte Bücher schreiben, über das was ich erlebt habe. Aber mein Mittel ist das gesprochene Wort. Ich rede gern mit den Leuten.“ Eine nette Frau, die an dem kleinen Tisch Platz genommen hat, sagt mir zustimmend: “Wenn du Sorgen und Probleme hast, frag die Ayse und sie wird dir helfen. Das sagt dir jeder hier.“
Hallo Ayse, wie bist du nach Deutschland gekommen?
Vor 48 Jahren wurde ich in der Türkei geboren. Als ich 8 Jahre alt war, holte mich meine Mutter nach Mannheim. Hier besuchte ich die Schule. Dann ging ich mit meiner Schwester in die Türkei, um den Vater zu sehen und bin da geblieben. Dort habe ich dann geheiratet. Da war ich 14. Ich bekam später eine Tochter. Das war keine gute Ehe. Er war Alkoholiker und als das 2. Kind zur Welt kam, bin ich abgehauen. Nach Deutschland. Zuerst wieder nach Mannheim und dann nach Köln. Ich habe zum zweiten Mal geheiratet und bekam so eine Aufenthaltsgenehmigung, machte einen Schulabschluss und ich konnte meine Tochter holen und habe das Sorgerecht bekommen. Tja, und dann hab ich gearbeitet und bis ich beschlossen habe, mich selbstständig zu machen. Ich habe genug gesehen und viele Menschen kennengelernt. Seit 26 Jahren wohne ich in der Keupstraße, zwei Häuser weiter.
Wie lange hast du dieses Büdchen?
Vier Jahre. Das war schon immer ein Büdchen, aber mit Fensterverkauf. Vor vielen Jahren, wollte ich das schon einmal machen, aber ich habe damals gearbeitet und mein Mann traute mir das nicht zu. Nun bin ich immer hier im Laden. Die Leute sind meist Stammkunden. Manche kenne ich, da waren sie noch in dem Bauch der Mutter. Das ist Multikulti hier. Die Leute kommen von überall her und bringen ihre Probleme mit. Ich gebe ihnen einen Kaffee und dann erzählen sie.
Ich habe überall gearbeitet, als Verkäuferin, in der Fabrik, als Vorarbeiterin in Putzfirmen. Ich habe ein gutes Gespür für Menschen und ich habe viele Menschen kennengelernt. Das ist wie ein Tante Emma Laden. Bevor die zum Psychologen gehen, kommen sie zu mir und sagen nachher du hast recht gehabt, woher weißt du das? Ich antworte, dass weiß ich auch nicht. Das kommt von innen, ich kann das nicht erklären, ich habe wohl einen ausgeprägten 6. Sinn.
Bei mir kann man alles kaufen. Von Tabak, Getränke, über Tierfutter bis hin zu Backpapier und Backpulver.
Was erlebst du hier für Sachen?
Nun, ich kann dir eine Geschichte erzählen. Die meisten sind vertraulich. Da halte ich den Mund. Aber diese eine Geschichte kann ich ruhig erzählen. Es gibt einen Mann, mittlerweile sind wir Freunde, der hatte ein kleines LKW-Unternehmen. Und auf einmal war der pleite, nach 7 Jahren in Deutschland. Er begann zu trinken. Wenig später war auch noch seine Frau mit den Kindern weg, er hatte kein Geld und der Mann war völlig am Boden zerstört. Er konnte kein Deutsch und die Frau hat alles geregelt. Stundenlang haben wir geredet, seine „Freunde“ , die sich früher so nannten, kannten ihn plötzlich nicht mehr. Ich hab ihm gesagt, mach die Augen auf, du bist erwachsen. Du kommst wieder auf die Beine. Wir helfen dir deine finanziellen Sachen zu regeln. Dann fanden wir seine Kinder und er bekam eines Tages einen Anruf ihnen. Das war ein Notruf, er holte sie zu sich. Aber was dann? Er wusste nicht, was er machen sollte. Ich hab ihm dann gesagt. Jetzt bist du dran. Ich helfe dir, aber jetzt musst du dich um die Kinder kümmern! Er hatte nicht mal Strom zu Hause. Ständig kamen neue Rechnungen. Wir haben dann die Zeitung eingeschaltet, die haben etwas Druck gemacht. Die Kinder können nicht im Dunkeln sitzen. Ich habe Essen für die Kinder gemacht und viele haben sich gekümmert. Wir haben ihnen geholfen mit dieser fürchterlichen Situation klarzukommen. Sowas hinterlässt Spuren in einer Kinderseele. Heute sagt er zu mir: „Du bist die Oma für meine Kinder.“ Er ist mir dankbar, denn alleine hätte er es nicht geschafft. Ich habe zu ihm gesagt, ich hab das nicht wegen dir gemacht, du bist erwachsen, aber die Kinder können nichts dafür. Es ist immer noch nicht alles in Ordnung, aber vieles hat sich gebessert. Er ist nun Mutter und Vater, dass hat er verstanden und gibt sich Mühe.
Kinder sind dir wichtig, stimmt das?
Ja natürlich. Hier nebenan ist der Spielplatz in der Keupstraße. Ich sehe, was da den ganzen Tag los ist. Da nehmen die Leute Drogen. Ich hoffe das Ordnungsamt kümmert sich mal darum. Außerdem frage ich mich, wo die Kinder sind? Die sitzen zu Hause vor dem Fernseher oder am Computer. Die spielen gar nicht mehr miteinander. Was sollen das für Menschen werden? Die müssen doch unter Leute, müssen das Leben kennenlernen. Das ist traurig. Da muss man was tun. Kinder sind unsere Zukunft. Das ist die nächste Generation, wir müssen auf sie aufpassen und uns um sie kümmern. Wie soll die Welt denn sonst einmal aussehen?
Du lebst schon lange hier in Mülheim, wie hat sich das entwickelt?
Vor 20 Jahren war Mülheim anders. Jeder kannte jeden. Ich wohne von Anfang an im selben Haus und ich habe die Entwicklung gesehen. Ich habe in dem ersten türkischen Laden gearbeitet. Viele sind gekommen und gegangen oder geblieben. Stück für Stück kamen mehr Landsleute und Menschen aus der ganzen Welt. Heute ist das Viertel ganz anders.
Was wünschst du dir für die Zukunft?
Ich will nach Hause. Ich will endlich meine Ruhe und Frieden haben.