Angriff auf die Meinungsfreiheit: Südtiroler Landesrat verklagt Umweltinstitut München und Buchautor Alexander Schiebel wegen Kritik an hohem Pestizideinsatz

umweltProzessstart am 15. September am Landesgericht in Bozen. Es drohen Haft- und Geldstrafen nebst Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe. Anklage ist haltloser Einschüchterungsversuch gegen Pestizid-Kritiker in Südtirol. Im Apfelanbau der Region werden massiv Pestizide eingesetzt. Klage entspricht einer europaweit immer häufiger angewandten Strategie, kritische AktivistInnen und JournalistInnen mundtot zu machen.

München/Bozen, 08.09.2020: Als massiven Angriff auf die Meinungsfreiheit kritisieren das Umweltinstitut München und der österreichische Buchautor Alexander Schiebel die gegen sie anstehenden Strafgerichtsprozesse in Südtirol. Weil sie den massiven Pestizideinsatz in Südtirol öffentlich kritisiert hatten, erstattete der Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft (Pendant zum deutschen Landwirtschaftsminister auf Landesebene) Arnold Schuler im Jahr 2017 Strafanzeige wegen übler Nachrede zum Schaden der Südtiroler Landwirtschaft. Mehr als 1300 LandwirtInnen aus Südtirol schlossen sich der Anzeige an. Die Staatsanwaltschaft am Landesgericht Bozen hat deshalb gegen Karl Bär, den Agrarexperten des Umweltinstituts, und gegen Alexander Schiebel („Das Wunder von Mals“) Anklage wegen übler Nachrede erhoben. Dabei gehört der überdurchschnittlich hohe Pestizideinsatz in Europas größter zusammenhängender Apfelanbauregion zum Alltag. Bis zu 20 Mal pro Saison werden Apfelplantagen in Südtirol gespritzt.

Karl Bär, Referent für Agrar- und Handelspolitik im Umweltinstitut München: „Wie sich zeigt, hat Südtirol nicht nur ein Pestizidproblem, sondern auch ein Demokratieproblem. Die Anzeigen und Klagen gegen uns entbehren jeder sachlichen Grundlage und haben nur ein Ziel: KritikerInnen des gesundheits- und umweltschädlichen Pestizideinsatzes sollen in Südtirol zum Schweigen gebracht werden. Der Prozess reiht sich ein in eine lange Reihe von haltlosen Klagen gegen AktivistInnen und PublizistInnen in Italien und in ganz Europa. Immer häufiger versuchen Unternehmen oder PolitikerInnen, auf diese Weise kritische Personen in ihrer Arbeit zu behindern und einzuschüchtern.”

Anlass der Klage gegen Karl Bär ist die provokative Kampagne „Pestizidtirol“ des Umweltinstituts im Sommer 2017. In deren Rahmen platzierte die Umweltorganisation ein Plakat in München, das eine Tourismus-Marketing-Kampagne für Südtirol ironisch verfremdete. Zusammen mit einer eigenen Website hatte die Kampagne zum Ziel, auf den hohen Pestizideinsatz in der beliebten Urlaubsregion aufmerksam zu machen. Der Vorwurf der üblen Nachrede im Fall Schiebel bezieht sich auf eine Textpassage in seinem Buch „Das Wunder von Mals“, in der der Autor den Pestizideinsatz in Südtirol und das Verhalten der dortigen Obstbauern anprangert. Den Betroffenen drohen bei einer Niederlage nicht nur eine Haft- und Geldstrafe, sondern auch mögliche Schadensersatzforderungen von der Landesregierung und den Nebenklägern und damit der finanzielle Ruin.

Nicola Canestrini, Rechtsanwalt von Bär und Schiebel: "Die Wahrheit zu sagen ist und bleibt nach italienischem Recht kein Verbrechen. Sie ist ein grundlegender Bestandteil der Demokratie und eine der mächtigsten Waffen gegen Machtmissbrauch. Es ist ein Alarmsignal für die Rechtsstaatlichkeit, dass man wegen der Ausübung eines so wichtigen Grundrechts angeklagt wird. Wir werden in Bozen stellvertretend für alle UmweltaktivistInnen und JournalistInnen kämpfen, die im öffentlichen Interesse Missstände aufdecken. Und wir werden im Prozess beweisen, dass in Südtirol im Übermaß Pestizide ausgebracht werden und dass diese für Menschen, Tiere und die Umwelt gefährlich sind.“

Die Bozener Staatsanwaltschaft ersuchte während ihren zweijährigen Ermittlungen auch die Oberstaatsanwaltschaft in München um Rechtshilfe. Diese verweigerte jedoch die Zusammenarbeit – mit Verweis auf die deutsche Rechtslage und das in Artikel 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbriefte Recht auf Meinungsfreiheit. Trotzdem erhob die Staatsanwaltschaft Bozen Anklage. Neben Bär und Schiebel drohen auch dem Vorstand des Umweltinstituts sowie dem oekom verlag als Verleger Schiebels Strafprozesse.

Alexander Schiebel, Buchautor: „Arnold Schuler missbraucht seine politische Position und macht sich zum Handlanger der mächtigen Südtiroler Obstlobby. Der Landesrat und die konventionellen Apfelbauern wollen den übermäßigen Einsatz von Pestiziden in den Monokulturen Südtirols und deren Folgen für Natur und Mensch unter den Teppich kehren. Menschen, die sich in der Region gegen die massive Verwendung chemisch-synthetischer Pestizide wehren, werden attackiert. Inzwischen herrscht bei vielen von ihnen ein Klima der Angst. Doch wir werden uns nicht mundtot machen lassen, im Gegenteil.“

Zum Pestizideinsatz in Südtirol

Rund jeder zehnte in Europa geerntete Apfel kommt aus Südtirol. Bei der Sortenwahl setzt die überwiegend konventionell arbeitende Südtiroler Apfelwirtschaft auf wenige, oft für Pilzerkrankungen anfällige Sorten wie „Golden Delicious“ oder „Gala“. Diese beiden Sorten machten im Jahr 2017 rund die Hälfte der Anbaufläche aus – eine Monokultur, die einen hohen Einsatz von Pestiziden benötigt. In Südtirol wurden laut italienischem Statistikamt ISTAT im Jahr 2018 sechs mal mehr Pestizide verkauft als im landesweiten Durchschnitt.

Zu strategischen Klagen in Italien und Europa

Strategische Klagen gegen die Beteiligung der Öffentlichkeit (SLAPP) sind von mächtigen Akteuren (zum Beispiel Unternehmen, Beamten in privater Eigenschaft oder hochrangigen Personen) angestrengte Klagen, um diejenigen einzuschüchtern oder zum Schweigen zu bringen, die sich im öffentlichen Interesse äußern. Typische Opfer sind Personen mit einer Überwachungsfunktion, zum Beispiel JournalistInnen, AktivistInnen oder WissenschaftlerInnen. Merkmale eines SLAPP-Falles sind unter anderem die unverhältnismäßige und aggressive Wahl der Mittel im Vergleich zum angeblichen Vergehen. Meist werden eher Einzelpersonen statt ganzer Organisationen angezeigt und die Klagen entbehren einer faktischen oder rechtlichen Grundlage. Italien ist ein Hotspot solcher strategischer Klagen. Dort werden jährlich mehr als 6.000 beziehungsweise zwei Drittel der Verleumdungsklagen gegen Journalisten und Medien von Richtern als unbegründet abgewiesen.

Quelle: www.umweltinstitut.org

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