Werner Ruhoff über Lesung mit Thomas Schmid - Mitherausgeber: "Die arabische Revolution"

Gestern Abend lockte mich eine Lesung im Friedensbildungswerk Köln:

die_arabische_revolution_frank_nordhausen_thomas_schmid_ch_links_verlagDer Journalist und Redakteur Thomas Schmid (bei der zum DuMont Verlag gehörenden Berliner Zeitung) ist Mitherausgeber des neu erschienenen Buches „Die arabische Revolution“ – erschienen im Chr. Links Verlag und ist Kenner der politischen Situationen in mehreren arabischen Ländern.

Das Buch enthält von unterschiedlichen AutorInnen Artikel zu den aktuellen  Ereignissen in zahlreichen und sehr unterschiedlichen arabischen Ländern, in denen die Revolten stattfanden.

Zunächst einmal, sind die Bedingungen in den arabischen Ländern äußerst  unterschiedliche. Tunesien, in dem ein Teil der Gesellschaft den Anfang der Kette  lostrat, ist gänzlich anders gestrickt als etwa Libyen oder Ägypten.

In Ägypten regierte auch unter Mubarak das Militär ganz entscheidend mit – was  in Tunesien nicht der Fall war. Dort war (und ist s.w. noch) die Polizei verhasst,  die den Unterdrückungsapparat bildet, der noch zwei Tage nach dem beginnenden  Aufstand durch die damalige französische Außenministerin zur „Aufstandsbekämpfung“ mit modernen Polizeiwaffen ausgestattet werden sollte. Die Armee tritt in  Tunesien dagegen innenpolitisch nicht in Erscheinung

In Tunesien gibt es sogenannte zivilgesellschaftliche Strömungen, die es in Libyen  überhaupt nicht gegeben habe, und während der Aufstand in Ägypten von Anfang an gewaltlos von Seiten der zivilen Menschen durchgeführt wurde, gab es in Libyen  einen bewaffneten Bürgerkrieg, dem die NATO mit der Luftwaffe für ihre Partei zur  Hilfe kam – wobei Schmid ebenfalls der Meinung war, dass es nach einem Bruch  des Völkerrechts aussah. In Ägypten ging der Aufstand vor allen Dingen von  der mittelständischen, städtischen Jugend aus, in Tunesien von den ärmeren Menschen in der ärmsten Region.

Interessant ist noch, dass sich in Tunesien inzwischen an die fünfzig Parteien gegründet  haben, die es allesamt zu ihrer Bedingung gemacht haben, dass die Hälfte ihrer gewählten VertreterInnen Frauen sein müssen!!!!!

Warum die NATO nicht in Syrien eingreift, begründet Schmid damit, dass die Opposition im Gegensatz zu Syrien keine ausländische Hilfe angefordert habe und dass  Syrien in einer hochexplosiven Gegend (Israel, Palästina Libanon, Iran) liege, während Libyen dagegen eine Randposition einnehme, wobei auch der Ölreichtum  Libyens womöglich eine Rolle gespielt haben könnte.

Es gab unzählige Aspekte über die verschiedenen Länder hinweg, die die Frage des Islam und der Islamisierung angehen oder wer trägt jetzt die Früchte  der Revolten – wobei er sowohl fürThomas-Schmid Ägypten als auch für Libyen am deutlichsten das Problem benannte, dass die einfachen Leute ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, während jetzt die alten Kräfte des Militärs in Ägypten (ohne Mubarak) regierten und in Libyen ehemalige Minister des Ghaddafi Machtapparates die Seiten gewechselt haben – dabei hat er einige Namen genannt. Eine drohende Islamisierung a la  Iran oder die Ausbreitung islamischer Regime hält Schmid für unwahrscheinlich, da die oppositionellen Kräfte stark laizistisch seien, oder dort wo die Muslimbrüder  stärker seien, wären sie eher moderat wie in der Türkei. 
(da waren zwei anwesende Tunesierinnen mit dem Hinweis auf einen führenden Politiker in ihrem Land skeptischer)

Was war bei aller Unterschiedlichkeit das Verbindende? 
Die Sehnsucht der Menschen nach der Erlangung ihrer Würde (so Schmid), ihre Würde hinsichtlich der Freiheit von Willkür und Korruption und hinsichtlich der sozialen Lebenschancen für die Zukunft.

Zum Schluss ging der Autor auf das Problem Israel und Palästina ein, das für den ganzen arabischen Raum ein schwerwiegendes sei, weil Israel in den Augen der AraberInnen einen Freibrief für alle Verstöße gegen die UNO-Resolutionen habe. Die israelische Regierung hat auf die arabischen Revolten sehr verunsichert und nervös reagiert, weil es den Status quo mit Mubarak und seinen arabischen Nachbarregierungen immer noch für besser hielt, als eine Chance zu sehen, auf diese Prozesse zuzugehen und ihre Demokratiebestrebungen zu unterstützen,  zumal es in keiner dieser Aufstände antiisraelische Töne gab.
Obama habe nach seiner hoffungsvollen Rede in Kairo die AraberInnen bitter enttäuscht – wegen der Duldung der Siedlungsausdehnungen.

Einiges wurde noch gesagt zu den verpassten Chancen, aus der Sicht des Autors. Die EuropäerInnen dürften ihre Grenzen im Mittelmeerraum nicht mehr verschließen,  zum Beispiel. Man müsse sich daran gewöhnen, dass man im Zeitalter, wo das Kapital keine Grenzen mehr kenne, die Menschen ebenfalls beweglich würden. Das europäische Grenzregime hielt er für unmenschlich und überholt.

Das Buch habe ich noch nicht gelesen, aber der Vortrag und die Antworten des Journalisten räumten mit mancher Unkenntnis  und manchem Vorurteil auf, das uns bei arabischen Ländern und MuslimInnen durch den Kopf geht.

Wen’s interessiert, dem sei’s empfohlen. Ich glaube, wenn es so gut geschrieben ist, wie der Mitautor erzählen konnte, dann dürfte es sich lohnen.

Gruß

Werner Ruhoff
 
PS: In den aktuellen Vorkommnissen in Ägypten sieht Schmid aller Wahrscheinlichkeit nach das Militär in der Verantwortung für die Gewaltausbrüche mit den Todesopfern.