SOMMERBLUT 2020: KULTUR TROTZ(T) CORONA - Festivalschwerpunkt ZUKUNFT

Festival der Multipolarkultur Sommerblut 2020 Foto SommerblutKöln. Das Kulturfestival Sommerblut ist vom 8. bis 24. Mai und wird online präsentiert. Der Themenschwerpunkt dieses Jahr heißt Zukunft. Die Herausforderungen der aktuellen Ereignisse geben dem Thema neue Relevanz. Koeln-insight-Redakteurin Regina Nußbaum sprach wenige Tage vor dem Start mit dem Festivalleiter Rolf Emmerich.

RN: „Herr Emmerich, Sie leiten das Sommerblut Kulturfestival dieses Jahr zum 19. Mal. Gab es für Sie in den vergangenen Jahren vergleichbare Herausforderungen?“

RE: „Nein, da geht es uns wie allen, das ist auch für uns komplettes Neuland. Wir kennen uns als inklusives Kulturfestival ja mit Barrieren aus, aber so viele wie jetzt mit den Spielstättenschließungen und behördlichen Auflagen mussten wir noch nie beiseite räumen. Aber wir haben es mit viel Kreativität geschafft und das macht mich sehr stolz auf das Sommerblut-Team.“

RN: „Konnten Sie sich vor einem halben Jahr dieses Szenario vorstellen?“

RE:“ Falls jemand eine Kristallkugel besitzt, die das vorhergesagt hat, dann sollte er sie an die verantwortlichen Politiker schicken. Wir mussten jetzt innerhalb kürzester Zeit von analog auf digital und von off- auf online umstellen. Vor einem halben Jahr hatten wir alle ganz andere Probleme, die sich jetzt ziemlich relativiert haben. Ich bin ja eher ein positiv denkender Mensch und so eine dystopische Entwicklung hatten wir trotz des Schwerpunkt-Themas “Zukunft” nicht auf dem Schirm.“

RN: „Wie werden wir Ihrer Meinung nach alle zukunftstauglicher?“

RE: Wir sind schon viel zukunftstauglicher, eine Welt voller Videokonferenz-Profis. Aber Ihre Frage war vermutlich anders gemeint: Wollen wir den Menschen künstlich optimieren, genetisch verändern und alles was uns “unperfekt” macht ausmerzen? Welche Zukunft hätten dann Menschen mit Behinderung, z.B. mit Down-Syndrom? Genau diese Fragen stellt Sommerblut auf künstlerische Weise!“

RN: „Was können wir aus dieser Gegenwart für die Zukunft lernen?“

RE: „Dass wir nur eine Zukunft haben, wenn wir die Gegenwart ändern. Unser Planet kommt auch ohne Menschen aus, aber wir nicht ohne einen bewohnbaren Planeten. Wir tragen Verantwortung, auch für unsere Kinder und Kindeskinder. Deshalb greifen wir in zwei Stücken die Themen Nachhaltigkeit und Generationenvertrag auf.“  

RN: „Welche Rolle spielt Ihrer Ansicht nach die Kultur für unsere Zukunft?“

RE: „Eine große! Jetzt merken die Menschen, wie ein Leben fast ohne Live-Kultur aussieht. Und das gefällt ihnen gar nicht. Kultur ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft, unserer Zukunftsängste- und träume. Kultur setzt Impulse für anderes Denken, fördert Empathie und lässt uns Dinge aussprechen, die oft tabuisiert sind. Kultur ist Freiheit!“

RN: „Wie sieht Ihre persönliche Zukunfts-Vision aus?“

RE: „Als Ruheständler endlich mal zuhause bleiben zu können! Ok, kleiner Scherz. Ich freue mich auf unser rundes Jubiläum im nächsten Jahr, wenn wir zum 20. Mal Sommerblut feiern, dann hoffentlich auch wieder in physischer Form. Und irgendwann wird es auch für mich Zeit, den Staffelstab an meinen Co-Festivalleiter Felix Dornseifer weiterzugeben. Aber noch brenne ich zu sehr für Sommerblut!“

Besondere Umstände – wie die aktuelle Krisensituation - erfordern neue Umsetzungsformen. Jetzt gibt es Hörspiele statt Konzerte, Audiowalks und Live-Streams statt Theater. Und interaktive Formate statt passivem Zuschauen. “Sommerblut war schon immer experimentierfreudig und das beweisen wir jetzt erneut“, verspricht Rolf Emmerich den Festival-Besuchern.

In den Projekten werden utopische Zukunftsräume vorgestellt, technologische Glücksversprechungen infrage gestellt und der Mensch mit seinem zukünftigen Ich in Avatar-Form konfrontiert. Die Grenzen der Vorstellungskraft des einzelnen sollen ausgetestet werden.

01 REcb160Whg1OG cMEYER ORIGINALSSechs Sommerblut-Eigenproduktionen kommen in diesem Jahr zur Uraufführung:

DAMENGEDECK 2.0 wagt einen virtuellen „Rundgang in die Zukunft“: Die Bewohnerinnen der Senior*innen-Residenz am Dom eröffnen ein fiktives Forschungsinstitut, in dem sie ihre vielfältigen Erfahrungen mit Autoritarismus und Chauvinismus in eine zukünftige, weibliche Bundesregierung ab 2021 einbringen. Ganz nach dem Motto: Merkel war gestern, wir sind die Zukunft.

In FUTURE X. – SOCIETY LAB zieht die KimchiBrot Connection gemeinsam mit einem diversen Ensemble in eine bunt gemischte WG. Ausgehend vom Generationen-Manifest, das mit seinen zehn Forderungen an die Politik ein klares Umdenken einklagt, ringen die Performer*innen in dem 40-minütigen Physical Theater Film um utopisch-kitschige bis dystopisch-obskure Zukunftsentwürfe.

Mit FURCHT UND NORMALITÄT IN ZEITEN DER AFD blickt das Kölner nö theater in textlich-audio-visueller Form auf den zunehmenden Gewöhnungsprozess an die politische und mediale Präsenz der AfD. Dokumentarische und fiktionale Elemente verschwimmen und man begibt sich auf eine politische Geisterbahnfahrt durch den nicht erst seit Hanau erschreckenden Alltag.

14,2 x 3,4 x 5,5 befragt Räume auf ihre Wirkung: Welche Dynamik entsteht, wenn wir uns eine Zeit lang nicht vereinzeln können? Das Team junger Performer*innen hat unter Anleitung des Choreographie- und Regie-Duos Elbers/Zhukov verschiedene Gedanken-, Erinnerungs- und Zukunftsräume in einem Audio-Walk vereint. Draußen, aber einzeln und safe!

DURCH NACHT ZUM LICHT ist ein experimenteller Musiktheatertrip von tauben und hörenden Performer*innen und Musiker*innen. Gebärdensprache und Visuals treffen auf Posaune, Trompete, Electronics und auf Ludwig van Beethoven. Als prominenter Grenzgänger zwischen den Welten der Hörenden und Gehörlosen bietet van Beethoven die Inspiration für diese Musikperformance.

FACE THE FUTURE ist eine interaktive Installation von Greogor Kuschmirz über das menschliche Bedürfnis, wahrgenommen zu werden. Das Gesicht ist Ausdruck und zugleich Wesen unserer Persönlichkeit. Durch die technische Möglichkeit, Gesichter zu erkennen und anhand von Mimik den inneren Zustand einer Person zu analysieren, stellt sich die Frage nach unserer persönlichen Freiheit. Wo bleibt die Würde des Individuums im Zeitalter der technischen Codierbarkeit? Die Ausstellung fokussiert die technisch bedingte Schamlosigkeit einer Überwachungskamera und setzt diese in den Kontext des Kirchenraums. Mitten in dem sakralen Raum der Kunststation Sankt Peter wird über den Zeitraum des Sommerblut-Festivals eine Überwachungskamera mit Gesichtserkennung installiert. Diese Kamera ist „schüchtern“: Erkennt sie ein Gesicht, wendet sie sich davon ab.

Der Künstler Greogor Kuschmirz hat den politisch und technologisch getriebenen Wertewandel im Blick. Er entwickelt Darstellungsformen für dessen Wirkung auf unsere Kultur. Seine Arbeiten wurden bereits international ausgestellt, u.a. im Centre Pompidou, dem Shanghai Art Museum, der Casa Encendida und dem European Media Art Festival.

Die Ausstellung in der Kunststation Sankt Peter läuft vom 9. Mai bis 7. Juni und ist jeweils mittwochs bis sonntags von 12 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. Eine Einführung zur Ausstellung und ein Interview mit dem Künstler gibt es ab Samstag, 9. Mai unter www.sommerblut.de.

Internationale Gastspiele
Das Jugendtheaterprojekt FUTURE OF EUROPE

Goodbye Great Britain, hello Ukraine? Mit ukrainischen Jugendlichen aus Kriegsgebieten in der Ostukraine und Kids aus Köln ein gemeinsames Stück über Europa machen – das war vor Corona eine logistische Herausforderung für alle Beteiligten. Doch jetzt kommen sie dank Video-Konferenz alle zusammen und lassen die Zuschauer ganz nah an ihren Gedanken über ihre Gegenwart und Zukunft, über Familie und Nähe, erste Liebe, das gemeinsame Europa teilhaben.

Im Vorfeld besuchten die jungen Ukrainer*innen im August 2019 die Region um Köln, Düsseldorf und Bonn, um mit Gleichaltrigen zu diskutieren und die Kultur, Politik und Geschichte Deutschlands kennenzulernen. Viele Fragen tauchten auf: Was erwarten sie jetzt? Was wollen sie? Wird es Krieg geben? Oder wird der Wunsch vieler nach Annäherung an die Europäische Union auf friedliche Weise in Erfüllung gehen?

Der ukrainische Kurator und Schauspieler Andriy May setzt das ursprüngliche Jugendtheaterprojekt FUTURE OF EUROPE nun als grenzüberschreitenden Videostream mit anschließendem Publikumsgespräch um.

A MILE IN MY SHOES by Empathy Museum vertagt seinen physischen Liveauftritt in Köln zwar pandemiebedingt um ein Jahr, macht aber mit einer virtuellen Vorschau neugierig auf das interaktive Schuhgeschäft, das die Besucher*innen einlädt, wortwörtlich in die Schuhe einer anderen Person zu schlüpfen und während eines Spaziergangs per Kopfhörer der Geschichte der Schuhbesitzer*in zu lauschen. Wie es sich dann wohl anfühlt, im falschen Körper geboren zu sein, eine Flucht mitzuerleben oder die große Liebe im 80. Lebensjahr zu finden?

Das gesamte Programm: www.sommerblut.de

Text: ©Regina Nußbaum

BU: Festival der Multipolarkultur Sommerblut 2020 Foto: Sommerblut
BU: Festivalleiter Rolf Emmerich Foto: Meyer Originals

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