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Interview mit Bassam Ghazi

 bassam_ghaziMit dem Theaterstück „Hier bin ich.“ verwirklichte das Import-Export-Theater zum ersten Mal in Mülheim ein erfolgreiches Theaterprojekt mit Jugendlichen. Zusammen mit Günay Köse inszenierte Bassam Ghazi diese Szenencollage, die sich mit dem Thema Integration beschäftigt.
Seit 2004 lebt der engagierte und freiheitsliebende Theaterpädagoge in Mülheim.
Wir haben Bassam getroffen und mehr über ihn, seine Arbeit und Mülheim erfahren.

Kurz gesagt:
1. Ein guter Tag beginnt für mich, wenn…
ich noch Milch im Kühlschrank und Kaffee im Pott habe.
2. Ich komme ursprünglich aus…dem Libanon und Berlin.
3. Ich bin nach Mülheim gekommen, weil…es eine billige Wohnung gab und weil Mülheim vergleichsweise, mit Neukölln ist.
4. Mein liebster Fleck Mülheim ist…am Rhein.
5. Drei Worte, die meinen Charakter beschreiben…Bewegung, Luft, Unterwegs
6. Ich mag es gern, wenn…mein Sohn mich morgens weckt, und das nicht vor acht Uhr.
7. Ich mag es nicht gern, wenn…mein Sohn mich vor acht weckt.
8. Ich lese zur Zeit das Buch...“Schnee“ von Orhan Pamuk
9. Dieses Erlebnis vergesse ich nie…als ich mit dem Drachen geflogen bin.
10. Auf eine einsame Insel nehme ich mit…meinen Sohn.
11. Als Kind wollte ich…Pilot werden.
12. Glück bedeutet…eine Mischung aus Entspannung und Spannung.


 

 

Die Mehrzahl der Menschen zieht es vom Rhein an die Spree. Bei dir war das umgekehrt. Welche Beweggründe haben dich nach Köln geführt?
Das hatte den Grund, dass ich 2003 hier einen Ausbildungsplatz zum Theaterpädagogen bekommen habe.

Und warum Mülheim?
Nach Mülheim bin ich gekommen, weil wir, als klar war, dass mein Sohn auf die Welt kommt, eine größere Wohnung brauchten. Als ich dann einmal auf der Keupstraße war, machte es sofort klick bei mir. Ich dachte mir, das kenn ich. Das ist wie in Neukölln. Das ist zu Hause.
Wir sind dann sehr schnell in diese  Ecke gezogen und mit jedem Jahr mehr in Mülheim gefällt es mir immer besser.

fahrad_bazzam_ghaziWas meinst du damit? Was assoziiert das bei dir?
„Es ist das Flair. Das Lebensgefühl. Die Vielfalt von unterschiedlichen Kulturen. Das finde ich sehr belebend und bereichernd für mich. Dann fühle ich mich auch nicht so fremd. Hier weiß ich, hier gehör ich dazu und fertig.“

Die Keupstraße ist ein gutes Argument nach Mülheim zu ziehen. Gibt es weitere Parallelen zu Berlin-Neukölln?
Ja. Neben dem multikulturellen Leben ist es ehrlich gesagt, der schlechte Ruf, der mich, angezogen hat. Es reizt mich umso mehr, dort zu kucken. Dieser Eindruck existiert ja nur für andere Leute. In Wahrheit sind diese Stadtteile einfach näher am wirklichen Leben dran. Es hat viel mehr mit Realität und Lebensnähe zu tun.

Du bist sehr viel unterwegs, daher frage ich mich, was macht für dich den Reiz von Mülheim aus?
Ein ausschlaggebender Punkt hier in Mülheim zu sein, ist die Kombination von städtischem Leben und der Nähe zum Wasser und zur Natur. Dadurch bist du nicht so eingezwängt. Das hebt die Lebensqualität in der Stadt enorm. So kann ich relativ spontan Ausflüge in den Jugendpark oder ans andere Rheinufer machen, ohne dabei eine Tagestour, raus aus der Stadt, zu planen.

Wie findest du denn den Wiener Platz? Würdest du ihn anders gestalten?
Ich muss ehrlich sagen, ich habe selten einen so hässlichen Platz gesehen, der so extrem auf Funktionalität ausgelegt ist. Für mich nimmt er auch ganz viel von dem wahren Gesicht das Mülheim hat. Ich glaube der muss einfach komplett weg und noch mal neu angelegt werden.

Neben dem viel gescholtenen Wiener Platz und dem Fehlen eines Kinos, was könnte in Mülheim deiner Meinung nach, besser werden?
Ersteinmal verstehe ich nicht, dass es hier so wenige Kindesärzte gibt. Das ist schon fast erschreckend.
Was mir in der ganzen Stadt sehr fehlt sind Kunst- und Theaterräume, die nicht so stylisch-renoviert und professionell, betrieben werden. Ein Ort, der eine nette Atmosphäre hat  und bezahlbar ist.

Hast du denn schon Ideen, wie das aussehen könnte?
Ja zum Beispiel könnte man städtische, leer stehende Räume für Kunst und Kultur nutzen. Ich habe mit einigen Leuten gesprochen, zum Beispiel zum Tag des Offenen Denkmals in der Mülheimer Brücke. Jetzt merke ich erstmal wieviele Räume eigentlich leer stehen. Für soetwas brauchst du allerdings ein Netzwerk und es steckt viel Arbeit darin. Allein ist das schwierig. Ich möchte gern Räume nutzen in denen Kunst, Theater und Musik in Kombination gemacht wird. Ich bin gern bereit mit anderen zusammen so ein Projekt aufzubauen.

Du bist wegen der Theaterpädagogik nach Köln gekommen. Nun hast du dein erstes großes Projekt „Hier bin ich“ zusammen mit Günay Köse hier in Mülheim erfolgreich abgeschlossen. Wie ist dein Resümee?
Ich habe Mülheim dadurch neu entdeckt…ich bin mit sehr vielen Menschen in Kontakt gekommen. Allein die Suche nach Auftrittsorten hat dazu geführt, dass ich sehr viele Kontakte geknüpft habe.
Zu Beginn hatte ich wenige Projekte in Köln und ich bin völlig erstaunt. Es ist sehr bereichernd, an dem Ort zu arbeiten an dem man lebt. Das ist eine andere Arbeit, weil man sich dann auch thematisch mit dem Stadtteil beschäftigt. Zudem ist das Fahrrad auch noch einmal ein Aufmerksamkeitsfänger. So habe ich leichter Flyer verteilt und Neugier geweckt. Menschen auf der Straße sprachen mich an und verwickelten mich in ein Gespräch. Das ist sehr schön.

Das heißt du möchtest weitere Projekte in Mülheim realisieren?
Ja, hier in Mülheim will ich mit kleinen Unterbrechungen immer wieder Projekte verwirklichen.
Daher habe ich ein Neues in der Planung: Ich möchte ein generationsübergreifendes Theaterprojekt inszenieren, das sich mit der Geschichte des Stadtteils beschäftigt.
Und ich möchte gern ein zu Hause für das Import-Export-Theater finden. Räume in denen wir proben können und die anderweitig genutzt werden…ein Raum, wo man sich mit anderen Künstlern zu Hause fühlt. Dies hängt mit den bereits benannten Plänen zusammen.

Du hast nach der Schule den Beruf des Erziehers gelernt. Später aber gemerkt, dass du dem nicht gerecht werden kannst. Warum hast du dich für diese Richtung entschieden?
Ich habe die Schule in der 11. Klasse abgebrochen. Während dieser Zeit wurde mir bewusst, wie bedeutend die Kindheit im Leben eines Menschen ist. Ich habe mich dann intensiver mit dieser Thematik beschäftigt und eine Ausbildung zum Erzieher gemacht.

Das ist ja sehr ungewöhnlich für einen Mann…
Ja, im Nachhinein betrachtet, war das ganz klar eine Trotzreaktion gegenüber meinen Eltern. Denn was wird man definitiv nicht als arabischer Mann? Man wird schon mal nicht Pädagoge und schon gar nicht Erzieher im Kindergarten. Einen typischen Frauenberuf zu wählen, mehr Trotz konnte ich wohl nicht zeigen.

Nun bist du erwachsen geworden und hast deine Nische gefunden. Was ist am Beruf des Theaterpädagogen anders?
Es ist eine Form, wo ich künstlerisch tätig sein und mit Menschen arbeiten kann. Es ist nicht so sehr auf Betreuung ausgerichtet. Ich bin freier und kann doch viel bewirken. Als ich in Nicaragua ein Puppentheaterprojekt in Schulen durchgeführt habe, da wurde mir klar: das ist mein Weg und das will ich machen.

Wie bist du denn darauf gekommen?
Ich hatte in der Vergangenheit bereits Tanztheaterprojekte gemacht. Nach der Ausbildung zum Erzieher, bin ich auf Reisen gegangen und habe durch Projekte in Bolivien und Nicaragua die positiven Auswirkungen dieser Art der Pädagogik erlebt. Wir haben dort mit Straßenkindern und in Schulen gespielt und ich habe gesehen, wie viel nachhaltig Positives ich damit bewirken kann.

Mittlerweile bist du seit sechs Jahren selbstständig mit dem Import-Export-Theater . Mit welchen Themen beschäftigst du dich?
Auf Grund meiner Wurzeln, ist das Thema Migration und Herkunft für mich ganz automatisch aktuell. Gastarbeiter wurden in den 50-iger – 70-iger Jahren nach Deutschland importiert. Wenn sie nicht mehr gebraucht werden, werden sie wieder exportiert. Das ist ja nicht nur ein Deutsches Problem. Außerdem beschäftigen mich die Fragen: Was sind Beweggründe, warum sich Menschen über den Planeten bewegen? Ganz stark geht es in meiner Arbeit um das Thema Identität. Die Diskussion um Doppelpass, Einbürgerungstest…letztendlich sind das Sachen mit denen ich mich im alltäglichen Leben auseinander setze.

Wie sieht das im speziellen aus?
Wenn ich hier zwanzig Jahre lebe, warum kann ich nicht zwei Pässe haben? Warum muss ich Fragen beantworten, die die meisten Deutschen nicht beantworten können? U.s.w.

Welche Bereiche umfasst deine Arbeit?
Ganz grob ist meine Arbeit in zwei Bereiche unterteilt, die mittlerweile ausgewogen sind und sich gegenseitig ergänzen. Ich arbeite viel im Bereich Gewalt und Gewaltprävention. Weil dieses Thema immer auf der Tagesordnung steht. Dafür gibt es mehr Fördergelder, denn das Thema brennt häufig. In diesem Zusammenhang mache ich auch Fortbildungen für Lehrer und Erzieher. So habe ich noch einmal diese Multiplikatorenebene drin. Ich versuche aber auch mit Gruppen zu arbeiten, die einfach nicht den Ruf haben, die schlimmsten Kids vom Stadtteil zu sein.
Inzwischen habe ich meine Nischen gefunden, um auf solideren Füßen stehen zu können. Denn mit Theaterprojekten allein, kann ich mich nicht finanzieren.

Es ist nicht nur dein Beruf, sondern deine Leidenschaft. Was reizt dich an der Theaterarbeit?
Der Mensch steht im Mittelpunkt und es geht um unsere Themen. Zu einem Projekt bringt jeder ein Paket an eigenen menschlichen Erfahrungen mit. Es ist spannend dann gemeinsam auf eine Suche zu gehen. Nachher fängt man an, mit dem biografischen Material etwas zu gestalten, ohne sich dabei zu entblößen. Das heißt die Inhalte und Probleme werden verfremdet, damit die Person nicht nackt auf der Bühne steht.
Sehr schön ist zu erleben, wie Menschen sich selbst entdecken und sich somit weiter entwickeln.
Ich arbeite hauptsächlich mit Jugendlichen. Das ist schon enorm was da an Veränderung innerhalb eines halben Jahres passiert.

Kannst du ein besonderes Erlebnis beschreiben?
Im Rahmen meiner Ausbildung habe ich ein Theaterprojekt in der JVA Ossendorf gemacht. Das war sehr aufrüttelnd, zu sehen, wie schnell man an die Gefühle von Menschen rankommt. Wie plötzlich halbstarke Jugendliche, die sich für ganz große Männer halten, in Tränen ausbrechen. So war es nach ein paar Stunden Theaterarbeit ganz selbstverständlich über Emotionen zu reden. Da ich damals noch in der Ausbildung war, habe ich da zum ersten Mal erfahren, was meine Arbeit alles möglich macht. Das ist schon enorm.

Wie bist du denn auf den Namen Import-Export-Theater gekommen?
Ganz klar kommt der Name auch aus dem Hintergrund meiner Herkunft. Viele Araber machen Import-Export Handel. Und ich kann dann mit Humor sagen, ich verkaufe keine Autos, sonder ich mache Import-Export Theater. Ich bleibe dem Ganzen also treu.

Und wie ist es für dich selbstständig zu sein?
Ich habe durch Erfahrungen das Vertrauen, dass es immer wieder weiter geht. Hoch und Tief, das gehört eben dazu. Es ist nicht immer einfach, aber ich mag den Beruf trotzdem und muss immer wieder aufpassen, dass ich mich da nicht übernehme. Weil’s mir so viel Spaß macht, dass ich dabei vergesse, dass ich damit ja auch Geld verdienen muss.

Wie werden deine Projekte finanziert?

Das ist leider etwas schwierig. Zum Großteil werden Mittel aus privaten Stiftungen zur Verfügung gestellt oder durch öffentliche Mittel. Doch das eher weniger im Theaterbereich. Es ist schon ein großer organisatorischer Aufwand, Gelder zu aquirieren. Da neben den Anfragen für jede Stiftung unterschiedliche Berichte, und Abrechnungen geschrieben werden müssen. Es wäre praktischer, wenn es einem festgelegten Standart gäbe, den alle Stiftungen anerkennen.

Du hast bereits viel von der Welt und von Menschen gesehen. Gab es Begegnungen, die dich nachhaltig geprägt haben?
Geprägt nicht, aber ich bin in Irland einem Mann begegnet, der mich beeindruckt hat. Er lebte in einem Haus, in dem seine Eltern schon wohnten und für ihn war das alles selbstverständlich. Er war völlig zufrieden und wollte nicht anders leben. Das ist das völlige  Gegenteil von meinem Leben. Daher hat mich das sehr beeindruckt, dass es so etwas ja auch gibt.

Du sagst du hast das Vertrauen, dass es immer weiter geht. Hast du einen Grundsatz der dich in deinem Leben begleitet?
„Keine Panik.“ Das ist das Prinzip von einem Stehaufmännchen. Alles ein wenig mit Humor zu nehmen. Wenn du panisch bist und immer Angst hast, da kommst du gar nicht dazu, Humor zu entwickeln.
Außerdem ist ein Glaube von mir…dass ich in völligem Vertrauen lebe, dass ich am richtigen Ort zur richtigen Zeit sein werde. Im Nachhinein denke ich oft, was wäre, wenn ich diesen oder jenen Menschen nicht getroffen hätte? Dann wäre mein Leben in eine völlig andere Richtung verlaufen.

Menschen liegen dir am Herzen. Wenn du die Macht hättest, die Welt zu gestalten, was würdest du ändern?
Als erstes wünsche ich mir ganz klar Frieden. Das ist glaub ich der Wunsch von so vielen Menschen. Mir liegt er noch mehr am Herzen, weil ich drei Jahre Bürgerkrieg im Libanon miterleben musste.
Es wäre schön, wenn es eine gerechtere Verteilung auf der Welt gäbe. Es ist schon erschreckend zu sehen wie viel Armut es bereits in Deutschland gibt.

Es verwundert, dass du das sagst, denn du hast in vielen ärmeren Ländern gelebt.
In diesem Zusammenhang fand ich erstaunlich, was Christoph Butterwegge über Armut in Deutschland gesagt hat…die Armut hier ist zum Teil demütigender als in armen Ländern. Man sieht um sich herum ganz viel, was nicht arm ist. Das ist eine Ebene von Ausgrenzung, die häufig unterschätzt wird. Dass es noch einmal viel demütigender ist, hier in einem reichen Land arm zu sein und wie kaputt das die Psyche machen kann. Das gibt zu denken.

Die Kinderarmut nimmt weiter zu. Was könnte Deutschland auf der Kinder- und Jugendebene anders machen? Was bemängelst du hier?
Ich ärgere mich, wenn ich höre, wie sich der Staat lobt, dass er so viel Geld für die Kinder und die Bildung ausgibt. Wenn ich dann an Schulen unterwegs bin, sehe ich ein völlig anderes Bild. Allein, dass Kinder schon in der 6. Klasse aussortiert, anstatt gefördert zu werden, ist das erschreckend. Meine Erfahrung ist, dass den Jugendlichen sehr bewusst ist, dass nach der Schule für sie keine Perspektive besteht. Die Rahmenbedingungen des Schulsystems sind ja auch von der UNO, als diskriminierend eingestuft worden.

Wie sieht es in den Kindergärten aus?
Was mir auffällt ist, dass 1 ½ Erzieherinnen für zwanzig Kinder einer Gruppe zuständig sind. Sie „hocken“ zusammen in einem Raum mit gerade mal einem kleinen Nebenraum. Ich meine wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert und haben bereits festgestellt, dass das nicht förderlich für die Kinder sein kann. Menschen die mit Kindern arbeiten sollten auf jeden Fall mehr Geld verdienen, um auch die Arbeit noch mal mehr wert zu schätzen. Es wird soviel geredet, dass die Kinder unsere Zukunft sind, doch das Geld fließt zum größeren Teil in Banken, Autos und Waffen.

Was wünschst du dir für die Zukunft?
Ich möchte gern ein Projekt im Libanon machen. Ich möchte das längerfristig über ca. zwei Jahre durchführen. Mich zieht es für eine gewisse Zeit auch wieder dahin. Ich möchte dort gern für eine gewisse Zeit arbeiten.
Was ich auch gern machen würde ist, mit einem Theaterbus unterwegs zu sein. Unterwegstheater in den arabischen Ländern. Es gibt viele Länder, wo es wenig Theater gibt. Das wäre mein Wunsch.
PEACE!

Vielen Dank für das ehrliche Gespräch!

Ilka Baum

Interview veröffentlicht MS: 164 Nov/Dez. 2009

Weitere Informationen:

Artikel:

Hier bin ich...

vor ORT

Internet: www.import-export-theater.de

E-Mail: ambass@gmx.de

Tel.: 0221-298 45 28 

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